Allgäuer Zeitung // 25.01.2022

"Ohne neue Lunge säße David nicht mehr hier"


Warum Betroffene wie die Berkmillers das "Nein" des Bundestags zur Widerspruchslösung schier nicht akzeptieren können. Familie aus Wald kritisiert die ihrer Ansicht nach "armselig niedrige" Spendenquote im Land

Die Sonne scheint wieder hell im Haus der Berkmillers in Wald. Die lichte Atmosphäre ist weniger den lichtdurchfluteten Wohn- und Esszimmerfenstern geschuldet als vielmehr Davids stark verbessertem Gesundheitszustand. Der 15-Jährige ist Mukoviszidose-Patient.
Vater Gerhard strahlt, als er erzählt, wie viel besser es David seit der Lungentransplantation vor knapp zwei Jahren geht. Wie viel besser er Luft bekommt. "Seitdem ist David stabiler, seine Lebensqualität ist gestiegen", sagt Gerhard Berkmiller mit leuchtenden Augen. "Und überhaupt: Er ist am Leben!"

Dabei hatte der Bub im März 2018 eine Lungenfunktion von unter 20 Prozent und würde ohne Not-OP längst nicht mehr leben. "Ohne die neue Lunge säße er nicht hier neben mir auf dem Sofa", sagt Gerhard Berkmiller. Das Spenderorgan, das sein Sohn bislang gut verträgt, war für die Familie wie ein Geschenk Gottes. Zwar kuriert David aktuell eine Mittelohrentzündung aus, aber er ist zu Hause, nicht wie früher so oft in der Klinik: Die Ohrengeschichte ist seit 2018 der allererste Infekt überhaupt, den er hat. Auch das ist bemerkenswert.

Davids letzte Chance

"Die neue Lunge war meine einzige Chance", sagt David selbst. Der unbekannte Spender habe sein Leben gerettet. Der 15-jährige Fußballfan, der gerade ein bisschen FIFA am Computer gespielt hat, lächelt zufrieden. Dackel Rocky springt auf seinen Schoß und holt sich von David Streicheleinheiten.
Dass er überhaupt eine Lunge bekommen würde, war aber so unwahrscheinlich wie ein Sechser im Lotto. Zu verdanken hatte das David seiner Jugend, dem passenden Gewicht, der passenden Größe und dem Engagement seines Umfeldes. "Zu glauben, es wird einem eh geholfen, wenn es um Leben oder Tod geht, ist leider der falsche Gedanke", sagt Davids Vater.

Zu wenig Organe

Da es zu wenig Organe gibt, sterben viele Menschen, viele Kinder, obwohl sie als Organempfänger gelistet sind. Ganz zu schweigen von denen, die durch Dialyse temporär am Leben gehalten werden, aber (noch) nicht auf der Eurotransplant-Liste stehen. Um so unverständlicher finden es viele Betroffene, wie wenig Menschen sich zur Organspende bereit erklären.
So stehen bundesweit laut Deutscher Stiftung Organtransplantation 9500 Menschen auf der Warteliste für ein Organ. Zugleich gab es 2018 nur 955 deutsche Organspender, und 901 Personen auf der Warteliste verstarben. "Die Spendenquote ist armselig niedrig. Das ist beschämend und auch dem Egoismus vieler Leute geschuldet", sagt Davids Vater. "Deshalb ist es auch unwahrscheinlich, dass Davids Lunge aus Deutschland kommt."

Sein Gesicht verfinstert sich angesichts des Bundestagsentscheids zu dem Thema. Mit fast 100 Stimmen Mehrheit stimmten die Abgeordneten gegen eine Widerspruchslösung. Sie sah vor, dass jeder Bürger Spender wird, wenn er nicht widerspricht. "Wir hatten so auf die Widerspruchslösung gehofft, damit endlich mehr Leute Organe spenden und Leben retten", sagt Berkmiller.

Er und seine Frau Marina sind "fertig" wegen der für sie unverständlichen Entscheidung. Das Ehepaar verweist darauf, dass Deutschland bei Organspenden Schlusslicht in Europa ist - und wie sehr die Deutschen daher von Organen aus Spanien, Österreich oder Holland profitierten.

Tod und Organspenden sind Tabuthemen

Die Berkmillers glauben nicht, dass das stattdessen vom Bundestag beschlossene Gesetz die Quote verbessert. "Es bringt nichts, mehr Merkzettel zu verteilen, die dann zu Hause lethargisch weggelegt werden." Ihrer Meinung nach ist es viel besser, "jeden Erwachsenen einmalig mit dem Thema zu konfrontieren", wie es mit der Widerspruchslösung der Fall gewesen wäre. Denn Tod und Organspenden seien Tabuthemen, mit denen sich viele Menschen ohne Zwang nicht befassten. Zumal man schwerkranke Menschen, die in Kliniken behandelt werden, nicht auf der Straße herumlaufen sehe. "Dabei kann es jeden treffen", sagt Davids Vater. "Aus einer Grippe kann eine Herzmuskelentzündung werden, und dann sagt der Arzt plötzlich:,Ohne Spenderherz leben Sie nur noch zwei Jahre.’ Die Gesundheit kann man sich nicht aussuchen."

Mehr potenzielle Spender - potenziell mehr Organe

Die Hemmschwelle, sich mit dem Thema befassen, fiele aber weg, wenn man ohne Widerspruch automatisch zum Spender würde. "Und man kann sich ja trotzdem dagegen entscheiden", sagt er. Abgesehen davon, dass viele Bürger gar nicht als Spender geeignet seien. Dennoch bedeuteten mehr potenzielle Spender eben auch potenziell mehr Organe.
Davids Mutter Marina macht klar, dass das Thema die Familie nicht loslassen wird. "Man weiß nicht, wann unser Sohn wieder eine neue Lunge braucht." Das könne in drei oder vier, vielleicht aber schon in ein oder zwei Jahren der Fall sein. Sie und ihr Mann schlucken. Auch deshalb wollen sie weiter für die Widerspruchslösung kämpfen.

Unbeschwert leben

Vor allem aber wollen die Berkmillers mit ihren drei Kindern David, Lena (12), Jonas (16) und Hund Rocky möglichst unbeschwert leben. Die Kinder, auch David, der im Herbst in Wald eine Lehre als technischer Produktdesigner antritt, können das "Gott sei Dank", sagt Vater Gerhard. Er selbst nicht. "Die Angst um David ist unser ständiger Begleiter", sagt er und desinfiziert sich vorsorglich, bevor er von draußen ins Wohnzimmer geht, die Hände. Jeder neue Infekt wäre für David gefährlich.


© 2024 Förderverein Mukoviszidose Wald e.V.
Impressum   .   Datenschutz   .   made by ...